Präsidentschaftswahl in den USA: Wir tragen Trauer
Menschenrechte, Umweltschutz, Weltpolitik: In einem Anfall geistiger Umnachtung hat Amerika seine Werte weggeworfen. Wie sollen wir das unseren Kindern erklären?
Von Lauren Groff, Florida
Veröffentlicht auf ZEIT Online
Es ist vier Uhr in der Früh. Es ist immer noch dunkel in Florida. Ich bin fassungslos, kann nicht schlafen. Amerikas langer Albtraum hat offenbar gerade begonnen.
Der Hass hat die Hoffnung besiegt. Wut und Verdruss haben den menschlichen Anstand besiegt. Der inkompetenteste und unqualifizierteste Präsidentschaftskandidat in der US-amerikanischen Geschichte hat auf rätselhafte Weise die kompetenteste und qualifizierteste Präsidentschaftskandidatin in der US-amerikanischen Geschichte geschlagen.
Donald Trump verkörpert alle schrecklichen Vorurteile, die Europäer seit Jahrzehnten gegenüber den Amerikanern hegen. Er ist oberflächlich, ungebildet, vulgär, schrill, mehr Schein als Sein, speit Hässlichkeiten aus, versteht gar nichts. Er ist über schlichtes Entertainment nie hinausgekommen. Er ist ein Hochstapler, der sich weit über seine natürliche Größe hinaus aufgeblasen und sich dann mit Goldfarbe angesprüht hat.
Schlimmer noch, Donald Trump ist tatsächlich gefährlich. Er steht Putin sehr nah. Er lässt sich von einem einzigen Tweet ködern und verbringt ganze Nächte damit, seine Gegner zu beleidigen. Er prahlt, er sei so mächtig, dass er Frauen einfach in den Schritt greifen und ungeschoren davonkommen könne. Er ist unkonzentriert und unfähig, Politik zu verstehen. Das einzige, was er versteht, wurde ihm von den furchtbaren Menschen, die ihn umgeben, ins Hirn gepflanzt.
Diese grauenvollen Menschen sind darauf versessen, das soziale Sicherheitsnetz zu zerreißen, das öffentliche Bildungssystem zu demontieren, Frauen das Recht auf körperliche Selbstbestimmung abzusprechen, die Umwelt für ein gutes Geschäft zu brandschatzen und Amerika um 70 Jahre zurückzukatapultieren in eine Zeit, als ethnische Minderheiten lediglich von Weißen unterdrückte Bürger zweiter Klasse waren. Meine nicht-weißen Freunde haben gelitten unter der bloßen Möglichkeit eines Trump-Siegs - ein Rückschritt nach der achtjährigen Amtszeit des ersten schwarzen US-Präsidenten, dem unglaublich großartigen, bedachten und maßvollen Barack Obama.
Sie zitterte und würgte
Am Wahlabend war ich auf einer Party mit einer nigerianisch-amerikanischen Freundin, die sah, wie ein Staat nach dem anderen rot wurde. Sie begann zu zittern und würgte vor Übelkeit. Wenig später packte auch mich eine große Beklemmung, ich sprang auf, fuhr nach Hause und las stundenlang ein Buch, um zu vergessen, was um mich herum in diesem Land geschah, das ich so liebe. Ich mache mir Sorgen um die Sicherheit meiner Freunde in diesem neuen hasserfüllten Amerika. Ich sorge mich um die Einwanderer, die so hart arbeiten in der Hoffnung auf ein besseres Leben. Diese Wahl hat ihnen gezeigt, dass Amerika ihr Blut und ihren Schweiß nicht will. Dass dieses neue Amerika sie überhaupt nicht verdient.
Ich habe nicht daran geglaubt, dass Donald Trump wirklich gewinnen könnte. Ich habe auf die Güte und Großzügigkeit der Amerikaner gehofft – ich hatte schließlich mit eigenen Augen gesehen, dass sie kaum Mühen scheuen, um einem Fremden zu helfen. Sie sind stolz auf die Rolle, die sie im Zweiten Weltkrieg gespielt haben und wie gut das Land zu ihren Vorfahren war, die meist aus dem Ausland gekommen waren und sich hier ein erfolgreiches Leben aufgebaut hatten.
Wir werden es durchstehen, aber nicht zusammen
Die Umfragen hatten einen Erdrutschsieg für Hillary Clinton angedeutet. Keine wichtige Zeitung in den Vereinigten Staaten unterstützte Donald Trump – außer der einen, die seinem Schwiegersohn gehört. Ausgerechnet das Land, das sich in der Geschichte so oft als nobel erwiesen hatte und als erstes seinen Bürgern die Demokratie schenkte, hat sich nun selbst mit den Früchten dieser Demokratie beschossen, in einem Anfall geistiger Umnachtung.
Hier sitze ich also mit meiner Wut. Und ich kann meinen Kindern immer noch nicht in die Augen sehen und ihnen erklären, dass ihre Zukunft gerade unermesslich finster geworden ist, weil dieses Land einen schlechten Mann einer guten Frau vorgezogen hat. Jede Faser meines Körpers weiß, dass diese Wahl das Ergebnis einer gewaltigen, kollektiven, brodelnden Frauenfeindlichkeit ist. Mein ganzes Leben lang wusste ich, dass Amerika große Probleme mit Frauen hat – dieser Sexismus ist der Cowboy-Legende eingeprägt, die das männliche Selbstbild hierzulande so fehlgeleitet hat.
Amerikas Hintern auf einem goldenen Thron
Aber ich hatte ja keine Ahnung, dass Amerika Frauen so sehr hasst, dass es einen Mann wählt, der Frauen als Dekoration benutzt, der voller Ekel und Verachtung über sie spricht, der glaubt, sie seien ihm unterlegen, nur weil er als Mann geboren wurde. Ich hatte keine Ahnung, dass eine Frau mit ein paar Macken und großem internationalen Ansehen, einem gründlichen Wissen und unglaublicher Kompetenz so erbittert gehasst werden kann von einem Land voller Männer, die es nicht ertragen, ihre Macht ein kleines bisschen wanken zu sehen. Ich bin erschüttert davon, dass es offenbar viele Frauen gibt, die sich genug hassen, um sich mit ihrer Wahl selbst zu untergraben. Dass diese Frauen den absurden Lügen glauben, die Eiferer ihnen entgegenspucken, und sogar gegen ihre eigenen Interessen abstimmen.
Wenn die Sonne aufgeht, werde ich laufen gehen in den Florida Woods. Ich werde weinen und sehr viel dunkle Schokolade essen und meine Kinder umarmen, bis wir alle genug davon haben. Ich weiß, dass dieses Land die schlimme, dunkle Zeit überstehen wird. Aber mir ist auch klar, dass wir das nicht zusammen durchstehen werden. Das heutige Amerika ist schmerzlich gespalten, bis zur Unkenntlichkeit zersplittert.
Ein Teil in mir will einfach alles aufgeben und wegziehen, an einen vergleichsweise vernünftigen Ort. Das wäre überall sonst auf der Welt. Aber die Flucht ist der Ausweg des Feiglings. Und obwohl Amerika der Welt seine peinliche und abscheuliche Kehrseite gezeigt hat, obwohl wir diesen Hintern auf seinem kleinen goldenen Thron vier Jahre lang ertragen müssen: Amerika ist kein Land für Feiglinge. Es ist ein Land für Kämpfer. Ich werde nicht zulassen, dass Donald Trump und seine Hasstruppe das Land packen und es zerreißen. Ich werde zurückschlagen. Irgendwann.
Aber erst einmal tragen wir Trauer. Für Amerika und die ganze Welt. Für die Umwelt, die wir so gedankenlos in den Dreck gestoßen haben. Und das alles nur, weil wir einen Wahnsinnigen gewählt haben.
Quelle: ZEIT Online